Berlin. Die Autos stauen sich. Es stinkt nach Großstadt und es lebt sich im Stress.
Laut fährt die U-Bahn in den Bahnhof und die Schulklasse quetscht sich, laut schreiend in den eh schon viel zu engen Wagon. „Entschuldigen sie die Störung… Motz“ klingt es leider viel zu laut vom anderen Ende der Bahn her. Es ist aber schwer zu verstehen, da der Saxophon spielende Mensch gerade sein hunderachtundreißigstes Solo in der Bahn hinlegt. Umsteigen und direkt in die bereits einsteigende Masse laufen nur um mit einem Schimpfen sich umzudrehen und dann kopfschüttelnd auf den Bus zu warten, der eh durch Stau garantiert mindestens zu spät kommt.
Der Unfall auf der Stadtautobahn sorgt für Chaos und die Baustelle auf der Gegenspur macht es auch nicht viel besser. Das Handy klingelt und der Chef will wissen wo Du bleibst, als plötzlich der Fahrradkurier Dich zur Notbremsung zwingt und Dir mit dem Mittelfinger seinen Sieg signalisiert. Und schon klebt Dir ein penetranter Fensterputzer an der Windschutzscheibe. Da Du den Kopf schüttelst wird nun die Scheibe schmutzig und bei grün darfst Du nicht fahren, da die alte Dame mit dem Rentnertaxi gerade noch bei „grün“ rüberhuschen wollte.
Die Dame im Mietshaus hört schon wieder laut die Helene, aber das ist okay, denn solange sie Helene hört muss man nicht hören, wie ihr Freund – na ihr wisst schon. Sie quietscht lauter als das alte Bett. Ganz oben kläfft der Pudel, weil er mal wieder fünf Minuten alleine ist, denn Frauchen bringt den Müll herunter – Laut scheppernd versteht sich. Und nebenan: Da streitet Familie Müller lauthals und die Türen knallen. Ali von nebenan kam letztens um sie Messer zu machen, weil er beim streiten nicht schlafen kann.
Blaulicht und Martinshorn schrillt durch die enge Straße. Mal wieder ein Überfall hört man es aus dem Polizeifunk. Schwerverletzer und Schussverletzung am anderen Ende der Stadt, wegen eines falschen Blickes. Mann fühlte sich bedroht. Anderswo Idioten die sich über Multikulti aufregen und von den „Bullenschweinen“ eingekesselt werden. Ein kleines Mädchen mit dem Fahrrad – Gott hab sie selig – der LKW hatte sie nicht gesehen. Und mittendrin die gaffende Masse mit dem Smartphone – das beste Video bringt Klicks.
Berlin, was bist Du wunderbar. Berlin, ick liebe Dir!
Aber nein, diese Stadt kann auch anders:
Still sitzen sie zu viert nun schon seit Stunden am Ufer und schauen den Schiffen zu, die den Kanal entlang schippern. Familien grillen friedlich und Kinder spielen gemeinsam. In der Kneipe an der Ecke ist es mal wieder voll, doch jeder nimmt Rücksicht auf die Nachbarn. Auch zu später Stunde. In der Strandbar gibt es heute Live Musik und alle sind eingeladen um der Musik zu lauschen.
Der Busfahrer grüßt trotz pöbelnder Gäste jeden neu hinzugestiegenen Fahrgast und wartet auch auf einen anrennenden Jungen, der dankbar zusteigt. Die S-Bahn fährt und der BER wird schon fertig. (Für Berliner ist das etwas positives *lacht*) Im dunkeln schlendern zwei Mädchen über den Bahnsteig und haben Angst vor dem gruseligen Mann der dort am Boden sitzt. Dieser grinst nur als er die Mädels sieht und stimmt ein Lied an. Die Mädels sind erleichtert und lachen.
Der Nachbar klingelt und fragt nach Eiern. Er will heute seiner Freundin einen Kuchen backen und beim ersten Versuch landete Ei samt Schale im Teig. Oma Trude reicht ihm Eier und gibt noch einen Tipp mit auf den Weg. Unten steht der Paketbote und trifft zufällig auf eine Nachbarin, die das Paket entgegen nimmt. Der Nachbar freut sich abends über sein Paket und reicht ihr Merci. Son bisschen mag er sie ja. Murat hilft der Opa Ernst aus dem dritten Stock beim Einkaufen und erzählt dabei von seinen Kindern. Der Opa lächelt.
Die Stadt lädt zum flanieren ein und am Wannsee in eine Decke gewickelt macht man es sich abends am Wasser gemütlich. Ein kleines Schiffchen segelt an dem Strand vorbei und die Menschen auf dem Schiff sehen glücklich aus – wie sie in den Sonnenuntergang segeln. Der kleine Mensch auf dem Boot sieht die Menschen am Strand, wie sie dort liegen und denkt nach. Irgendwie einsam und dennoch zufrieden segelt er dem Mond entgegen und er weiß, dass er trotz stress einen tollen Tag erlebt hat. Im Hintergrund schimmert der Fernsehturm und oben stehen zwei Touristen und bestaunen die Stadt, die niemals schläft.
Berlin, Du bist so wunderbar, auch wenn man es manchmal Hassliebe nennen mag 🙂 Aber Du hast Deine guten Seiten! 🙂
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Ach Oli, mir kamen die Traenen beim Lesen vor Lachen und Weinen gleichzeitig. Das hast Du grossartig beschrieben. Auch ich liebe diese Stadt, einfach weil sie ist hart und herzlich, laut und leise, sauber und dreckig, bunt und schwarzweiss, Kaffee und Tee, Currywurst und Döner, Ost und West und alles immer gleichzeitig ist ☺