Damals war ich neun Jahre alt und wohnte in Berlin Mariendorf. Ich erinnere mich nicht mehr wirklich detailgetreu an diesen Abend, jedoch weiß ich, dass an diesem Abend irgendetwas anders war. Es war ein Donnerstag, der Fernseher lief und die Tagesschau berichtete von der Grenzöffnung. So wirklich vorstellen, was der Herr dort erzählte konnte ich mir nicht. Wie auch, ich war neun Jahre alt und die bewegenden Bilder folgten erst in den kommenden Stunden.
Auch zu später Stunde lief der Fernseher noch und immer mehr Menschen wollten in den Westen reisen. Ich habe noch Bilder im Kopf, auf denen sich Menschen in West Berlin umarmten, Autoschlangen die nach West-Berlin fuhren, die Menschen freuten sich über die Öffnung der Mauer. Für mich gehörte die Mauer immer zu Berlin. Bewusst habe ich die Mauer immer bei der Reise zur Oma in den West-Harz wahrgenommen. Dort fuhren wir mit dem Auto hin und mussten an der Transit Strecke immer an den Grenzposten anhalten und unsere Ausweise vorzeigen. Diese fuhren dann auf einem Rollband zum nächsten Fenster und der Grenzer dort schaute noch einmal ins Auto und kontrollierte genau die Bilder und uns im Auto. Die Eltern sagten immer, dass wir uns benehmen sollten, was wir natürlich taten. Auf der Transitstrecken hielten wir dann meist an den Intershops an und kauften dort Zigaretten für Mama. Auch erinnere ich mich an den „Tag der offenen Tür“ der Amerikaner auf dem Flughafen Tempelhof. Dort hatte ich als Kind immer viel Spaß und die Amerikaner waren sehr freundlich. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass wir immer vom Süd-Osten auf das Flugfeld gelaufen sind und dann in Armee-Zelten mit einem Metalldetektor kontrolliert wurden. Die Amis hatten damals kein Problem, auch uns Kinder die Detektoren genauer zu zeigen. Wir Kinder konnten viel spielen und bekamen auch viel zu sehen. Auch erinnere ich mich an die Geisterbahnhöfe in Berlin. Das waren jene Bahnhöfe, die im Ostteil der Stadt lagen, an denen die West-Züge aber nicht anhalten durften. Mit Opa bin ich ab und zu durch solche Bahnhöfe gefahren und er erzählte mir dann davon. Doch nun passierte etwas, dass unsere Geschichte veränderte.
Für mich sind Fernsehbilder in Erinnerung. Glückliche Menschen, Menschen auf der Mauer, an der Mauer und viele Menschen, die sich in den Armen lagen. Wir waren zu klein um uns in die Masse zu stürzen. Sicherlich weiß ich noch ganz genau, dass mein Vater mit einem Freund ein paar Tage nach Grenzöffnung in den Osten fuhr um sich den Alexanderplatz einmal anzuschauen. Auch weiß ich, dass wir Kinder irgendwann später mit durften und am Alexanderplatz bummelten und ich erinnere mich noch ziemlich genau, wie ich mich über die komisch aussehenden Fernseher in den Schaufenstern dort wundere. Aber auch die Preise dort empfand ich als sehr teuer. Auch roch es im Osten der Stadt komisch, die Luft war irgendwie anders und ich konnte das als Kind nicht zuordnen. Ich wusste nur, dass ich Ost-Berlin am Geruch erkannte. (Klingt komisch, war aber wirklich so)
Ich weiß auch, wie wir mit Hammer und Meißel an der Mauer in der Masse standen und Steine aus der Mauer geschlagen haben. Irgendwo liegt zuhause davon noch ein Foto, wie meine kleine Schwester mit dem Hammer gegen die Mauer klopfte und die Steine liegen in der Vitrine bei meinen Eltern. Wir waren damals nicht alleine, denn tausende Berliner machten es uns nach und zerlöcherten die Mauer um ein Andenken an dieses Bauwerk zu haben, aber auch um gemeinsam die Mauer klein zu kriegen. Ach was erzähle ich denn: Nicht nur Berliner, gefühlt die ganze Welt war zu Gast um Teil von einem schönen Geschichtlichen Ereignis zu werden.
https://youtu.be/mPBvlZc0cvQ
Dass die Mauer damals die Stadt zerteilte ist für Außenstehende meist unwirklich. Selbst ich erinnere mich nur an diese Mauer und an eine Aussichtsplattform, auf der man hinüber in den Osten schauen konnte. Wir durften nie zu dicht an die Mauer gehen, da wir ja von drüben beobachtet wurden. Im Westteil stand diese Plattform und im Oststeil war nichts außer Grenzanlagen und die bewaffneten Grenzer zu sehen.
Ich erinnere mich auch noch an einen Vorfall, der sich im Lichtenrader Wäldchen nach der Grenzöffnung abspielte. Wann genau das war: Keine Ahnung. Meine Oma aus dem Harz war zu besuch und wir fuhren nach Lichtenrade ins Wäldchen spazieren. Dort war die Mauer mittlerweile mit einem dicken Loch versehen, so dass man hinüber auf den Todesstreifen gehen konnte. Also kletterten wir vorsichtig in den „Osten“ und schauten uns dort um. Einige andere Berliner waren auch mit Drüben, als ein paar Grenzsoldaten angefahren kamen und riefen „Verlasst das Gebiet oder wir schießen.“ (Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber wir sind alle ziemlich schnell zurück gelaufen.) Nur Oma sagte sich: Die Grenze ist offen, die können mir nichts und ging also zurück. Ich weiß noch, dass sich Oma und Papa mit den Grenzern dann unterhielten und diese sehr traurig waren, teilweise weinten, weil sie wahrscheinlich zurück nach Russland müssten.
Erinnerungen an die Zeit sind da. Ich erinnere mich auch an den Tag der Deutschen Einheit und viele Fragmente der Zeit. Auch mit neun Jahren bekommt man recht viel von seinem Umfeld mit und nimmt Geschichte und Entwicklung wahr.
Heute ist Berlin zusammengewachsen, auch wenn ich ein „Wessi“ bin und ich oft gefragt wurde, aus welchem Teil in Berlin ich denn komme. Sicher, im Ausland sind viele neugierig und wollen wissen, woher man genau ist. In Berlin ist es mittlerweile so, dass ich manchmal etwas überlegen muss, ob ich nun im ehemaligen West- oder Ostteil bin, denn die Stadt ist zusammengewachsen und zumindest in Berlins Mitte sind die Grenzen nahtlos. Lediglich die Pflastersteine, die sich durch Berlin ziehen erinnern an den ehemaligen Verlauf der Ost-West-Grenze. Und in einigen Köpfen gibt es ebenfalls noch eine Mauer, doch die jüngste Generation wächst ohne Mauer auf und kann sich gewisse Dinge aus der Vergangenheit nur noch schwer vorstellen.
Ohne die Wiedervereinigung hätte ich einige wichtige Leute in meinem Leben nie getroffen, hätte ich viele Freunde nicht kennen gelernt und wäre Berlin nicht das, was es heute ist. Nur der Flughafen Tempelhof wäre noch offen. Aber auch wäre es möglich gewesen, dass der Russe nicht in der Krim einmarschiert wäre, sondern West-Berlin einnehmen hätte wollen. Wir werden dies zum Glück nie erfahren, sollten aber immer an die Vergangenheit denken und uns vor Augen halten, was wir in der Zukunft nicht wollen:
Mauern durch ein Land, eine Mauer durch die Menschen und deren Herzen.
Lieber Oli, das hast Du so wunderbar zusammengefasst, da kommen auch so viele Erinnerungen in mir hoch, ich bin ganz geruehrt! Liebe Gruesse, Maike
Danke, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast.
Ich war damals 18 Jahre alt und wir sind am 9. November abends nach Berlin Spandau gefahren, um meine Eltern und meinen Bruder zu besuchen. Diese hatte ich nach ihrer Ausreise seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen.
Diese Zeit werde ich nie vergessen und ich habe noch nach 30 Jahren Tränen in den Augen, wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe.
Für mich ist die Freiheit das Wichtigste von allem. Ohne sie, wäre mein Leben anders verlaufen.